Wie man am anderen Ende der Welt ein Klo repariert.

Seit letzter Woche genieße ich das Backpacker-Leben im Hostel.

Ich habe das allerschönste Bett mit Blick in den Hinterhof und Fensterbank als Bücherregal. Das kleine Viererzimmer ist vollgestopft mit gewaltigen Koffern, ausgebeulten Rucksäcken und vollen Taschen. Laptop- und Telefonkabel führen quer durchs Zimmer, dicke Reiseführer mit Eselsohren auf Japanisch, Russisch, Englisch und Deutsch bevölkern die Ecken, und man stolpert allerorten über herumliegende Flip-Flops.

Die meisten Mitbewohnerinnen bleiben nur einen oder zwei Tage. Die Australierin, die den Mülleimer ausgeleert und als illegales Bierflaschenlager zweckentfremdet hat, ist gottseidank schnell wieder abgereist. Ich habe eine Japanerin getroffen, die seit letzter Woche unterwegs ist und schon Toronto, Ottawa, New York und die Niagarafälle gesehen hat. Und morgen fährt sie weiter nach Quebec City. „It’s kind of busy“ sagt sie mit hinreißend entschuldigendem Lächeln.

Eine Schweizerin erzählte mir, sie habe eigentlich zwei Tage für Montreal eingeplant, aber sie habe schon nach einem Tag das Gefühl, alles gesehen zu haben, und werde dann mal weiterreisen nach New York.

Und ich. Bin seit 4 Wochen in Montreal und habe Schweißperlen auf der Stirn, wenn ich daran denke, dass meine Zeit hier immer kürzer wird. Nur noch 3 Tage. Für japanische Reisende ist das viel, und wenn ich überhaupt nur 3 Tage hätte, dann hätte ich die ganze Reise noch vor mir. Außerdem kann ich ja jederzeit wiederkommen – jetzt, wo ich weiß, dass Bett Nummer 218-D in der Auberge de Jeunesse ein angenehmer Platz zum Bleiben ist.

Wie wird das Café Santropol wohl ohne mich auskommen? Und wer fährt demnächst morgens schon zur Rue Saint-Denis, um den kleinen Tisch am Fenster vom Lieblingsstarbucks zu okkupieren? Letzte Dinge. So langsam geht es los. Ein letzter Bubble Tea, ein letztes Mal lesen und schreiben im Lieblingscafé. Das zweite und letzte Frühstück bei Madame Bolduc habe ich schon hinter mir. Beim letzten Besuch in einer Buchhandlung muss ich mich wahrscheinlich schon zwischen Chapters und Renauld-Bray entscheiden. Ich frage mich, ob ich noch einen Koffer kaufen muss für all die Mitbringsel für mich und andere?

Ich vermisse Montreal schon jetzt. Mit dem Reisen ist es wie mit Freundschaften. Man kann viele oberflächliche Bekannte haben, viele Orte gesehen haben – aber mir gefällt es besser, wenige Orte gut zu kennen, Freundschaft mit ihnen zu schließen, damit ich immer wiederkommen kann.

Montreal ist so ein Ort geworden. Ich frage mich, ob ich eine Laufstraße in den Bürgersteig zwischen Café Santropol, Station Berri-UQUAM und der Auberge de Jeunesse gelaufen habe. Ob durch mein eifriges Zutun der Straßenbelag in meinen bevorzugten Stadtgebieten nun um einige Milli-Millimeter tiefer abgelaufen ist?

Vorgestern wurde ich bei der Rückkehr ins Hostelzimmer mit einem Rauschen empfangen. Die Japanerin im Bett neben mir teilte mir mit, das Klo sei kaputt, und eine Mit-Reisende sei schon unterwegs, um jemand aufzutreiben, der sich mit sowas auskennt. Hmm. Kann ja so schwer nicht sein. Ich hebe also unter erstaunten japanischen Blicken den Deckel vom Spülkasten hoch und linse hinein. Was sehe ich? Einen Schwimmer, ein Abfluss nach unten, einen Stöpsel, der normalerweise in den Abfluss gehört, dort aber nicht ist. Was tun? Stöpsel wieder rein, Deckel zu – Stille.

Kein Rauschen.

Hurra! Selbst ist die Frau.

(Dieser Artikel erschien erstmals im September 2010 in meinem Reiseblog „Nomadensalat“.)