Der erste Schnee in Magog, Quebec

Eine Wintererinnerung mit Rezepten.

Am tröstendsten sind Küchen.

Während der schlecht gelaunte Jonathan auf der Terrasse raucht und sich ansonsten nicht viel blicken lässt, stehe ich mit Jonathans Mutter und seinen beiden Tanten in der geräumigen Küche des Wochenendhauses am Lac Mephremagog. Ich bin eingehüllt von mütterlicher Wärme und leichtherzigem Gekicher – an einem der vorletzten Tage des schlimmsten Urlaubs meines Lebens.

Wir rollen Algen und Reis zu Bergen von selbst gemachtem Sushi, schieben einen gehaltvollen Auflauf in den Ofen und mischen in einem großen Topf flüssige Butter, Marshmallows und Rice Krispies zu Rice Krispy Squares, die ich bis zu meiner Abreise in einer Tupperdose mit mir herumtragen und Stück für Stück aufessen werde.

Der süße Duft von geschmolzenen Marshmallows mischt sich mit der herzhaften Note der Paté Chinois im Ofen. Für ein paar Stunden tausche ich Kälte und Dunkelheit gegen die Wärme und Freundlichkeit in der Küche. Gegen Töpfe und Auflaufschalen, Reis und Algen, Kartoffelpüree und Mais, Butter und Zucker. Der Frost des letzten Oktobertages und die düstere Wolke über dem Kopf des seltsamen Jungen, wegen dem ich hier bin, haben in dieser Küche keine Zutritt. Ich fühle mich umfangen und geborgen hier bei Sonia, Yvonne und Marie – bei ihren Geschichten, ihrem Lachen und dem Duft von Essen, der durch den Raum strömt.

Draußen im Salon sitzt Jonathans Vater Paul in einem Sessel am knisternden Kamin, die Katze auf seinem Schoß zusammengerollt. Ich höre, wie er die Seiten seines Buches umblättert. Ansonsten: Stille.

Am nächsten Morgen werden wir aufwachen und in eine mit Puderzuckerschnee bestäubte Landschaft blicken. 2 Tage später wird mich ein Flieger von Montréal wieder nach Leipzig bringen – zur Wärme meines Kachelofens und zum Frieden meiner eigenen Küche.

Jedes Jahr im Winter, wenn es kalt wird, denke ich an Kanada.
Ich quatsche allen, die sich in meine Küche wagen, die Ohren voll – von Paté Chinois, Rice Krispy Squares und vom Schnee, der dort nicht ein paar Wochen oder Monate, sondern oft ein halbes Jahr bleibt. Und irgendwann gehe ich einkaufen. Besorge Kartoffeln, Mais, (Soja-)Gehacktes und alles andere, was man für eine anständige Paté Chinois braucht.

Die Rezepte:

Paté Chinois
Die „Chinesische Pastete“ ist ein typisches Gericht aus Quebec. Au contraire zum Namen kommt sie keineswegs aus China, sondern scheint eine Weiterentwicklung der britischen Sheperds Pie zu sein. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden kanadische Wanderarbeiter von chinesischen Köchen auf Wunsch der britischen Eisenbahnbosse damit gefüttert, und so hat sich sowohl der Auflauf als auch sein Name in Quebec eingebürgert. Weil es so schön wärmt und glücklich macht, muss ich das Gericht im Winter mindestens einmal kochen. Oder jede Woche. Hier meine super leckere, vegane Variante:

Du brauchst:
> alle Mengenangaben sind Pi mal Daumen – kommt auch auf die Größe der Auflaufform an.
> 3-4 sehr hungrige kanadische Holzfäller sollten davon satt werden.

2 Beutel Sojaschnetzel zum Einweichen
1 Zwiebel
2 Knoblauchzehen
700 g Kartoffeln
2 Dosen Mais
ca. 300 ml Soja- oder andere ungesüßte Pflanzenmilch
Salz, Pfeffer, Gemüsebrühe
etwas Zimt und Muskat
Olivenöl

Und so geht’s:

  1. Die Sojaschnetzel in starker Gemüsebrühe aufkochen, 10 Minuten einweichen und durch ein Sieb ausdrücken. Das ist Dein Hackfleisch.
  2. Die Kartoffeln schälen, in Stücke schneiden und in leicht gesalzenem Wasser kochen, bis sie weich sind. Daraus wird später das Kartoffelpüree zum Überbacken.
  3. Die Zwiebel mit Olivenöl in einer großen Pfanne anbraten. Hackfleisch dazugeben und mitbraten. Knoblauch dazupressen. Mit Salz und etwas Zimt würzen. Pfeffer nach Geschmack hinzufügen (ich nehme keinen.) Die fertig angebratene Hackfleischmischung kommt als erste Schicht in Deine Auflaufform.
  4. Mais teilweise pürieren (mache ich nie) und als zweite Schicht in die Auflaufform geben.
  5. Die Kartoffeln sind inzwischen durchgegart? Mit einem Teil des Kochwassers und Pflanzenmilch pürieren oder stampfen, bis Du einen feinen Kartoffelbrei hast. Eventuell leicht nachsalzen. Nach Geschmack etwas Muskat hinzufügen.
  6. Gehacktes und Mais sind schon in der Auflaufform? Sehr gut. Dann jetzt den Kartoffelbrei obendrauf und schön glatt streichen. Damit die oberste Schicht knuspriger wird, mit der Gabel ein Muster einritzen.
  7. Ab in den Ofen – ca. 40 Minuten bei ca. 200 Grad. Auch hier wieder: Nach Gefühl! Den Auflauf mit Alufolie abdecken, damit der Kartoffelbrei nicht anbrennt. Nach 20 Minuten Alufolie entfernen und warten, bis die Oberfläche ganz leicht braun wird.

Bon Appétit!


Rice Krispy Squares

Du brauchst:
> Obacht! Wenn Du keine Schweinegelatine essen willst, nimm vegane Marshmallows, die Du in veganen Läden oder im Internet findest.
> Statt Butter kannst Du auch die vegane Margarine Alsan verwenden
25 Gramm Butter oder Alsan
250 Gramm Marshmallows
6 Tassen Rice Krispies
eine Prise Salz

Und so geht’s:

  1. Eine viereckige Auflaufform mit Backpapier auskleiden.
  2. Butter im Topf zerlassen und die Marshmallows darin unter ständigem Rühren schmelzen. Achtung: Sie sollen nicht anbrennen!
  3. Mit einer Prise Salz würzen.
  4. Rice Krispies hinzufügen und mit dem Kochlöffel in die dickflüssige Masse einarbeiten. Dafür ist etwas Muskelkraft nötig, da die Masse schnell ziemlich zäh wird.
  5. Die Masse aus dem Topf in die Auflaufform geben, sodass diese ca. 2 cm hoch bedeckt ist. Glatt streichen und fest andrücken. Auch in die Ecken!
  6. Im Kühlschrank 1 Std. lang fest werden lassen.
  7. Form aus dem Kühlschrank nehmen und mit einem scharfen Messer in rechteckige Stücke oder Würfel schneiden.
  8. Geschafft! Die Rice Krispy Squares sind fertig und können jetzt von Dir verspeist werden.

Dieser Text entstand an einem Mittwochabend in der Leipziger Frauenkultur, wo ich alle zwei Wochen eine Schreibwerkstatt besuche. Die Vorgabe war, eine Wintererinnerung festzuhalten.
Erst später ist mir noch eine weiterer aufschreibenswerter Moment eingefallen:

Es ist tiefer Winter. Eins meiner ersten Jahre in Leipzig. Die ganze Stadt ist weiß und riecht nach Kohleofen. Ich habe einen Bekannten, Sebastian, den ich über eine Anzeige im Stadtmagazin Kreuzer kennengelernt habe. Einmal die Woche treffen wir uns. Er spielt Klavier, ich singe. Jazz und so. Das ist jedenfalls die Idee. Oft haben wir keine Lust und rauchen stattdessen im zugigen Wintergarten Zigaretten. Sebastian wohnt in einer WG, die sich „Königreich Arnoldien“ nennt, weil das Haus in der Stötteritzer Arnoldstraße steht. Hier gibt ochsenblutrotlackierte Holzfußböden, alte Möbel und selbstgebaute Kachelöfen.

Sebastian will etwas Großes transportieren und hat sich dafür mein Auto geliehen. Den herrlich kantigen 81er Passat Kombi mit Turbodiesel habe ich – scheckheftgepflegt – für 1200 Mark dem ehemaligen Leiter der Universitätsbibliothek abgekauft.

Im Tausch für den Passat bekomme ich Sebastians beigefarbenen Wartburg mit Revolverschaltung. Wir müssen uns ein wenig aneinander gewöhnen, der „Warti“ und ich,
aber dann klappt alles gut und ich kann in gemächlichen Tempo mit dem Museumsstück nach Hause fahren. Die Heizung funktioniert nicht, aber es gibt einen Kassettenrekorder.
Ich fahre die Holsteinstraße entlang und biege vor der Brücke ab Richtung Ostplatz – da, wo jetzt schon seit langem ein neuer REWE ist.

Ich kurve im Wartburg durch die Stadt, lasse mir Zeit beim Schalten und höre Buena Vista Social Club in Dauerschleife. Und während es leise in dicken Flocken zu schneien beginnt, merke ich, dass ich in diesem Moment glücklich bin. Einfach so.

Bist Du schon mal Wartburg gefahren? Magst Du den Winter? Und wie die Stadt riecht, wenn über den Häusern der Rauch der Kohleöfen steht? Hast Du auch eine besondere Wintererinnerung? Oder ein Rezept, das unbedingt gekocht werden muss, sobald es draußen ungemütlich wird?
Lass es mich wissen – in den Kommentaren!

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